Oftmals abseits einer breiten öffentlichen Wahrnehmung agiert seit einem Vierteljahrhundert der Syker Hospizdienstes. Ein würdevolles Sterben zu ermöglichen, bei dem niemand alleine gelassen wird, ist dessen Zielsetzung. Warum die professionell-ehrenamtlich in der Sterbebegleitung agierende Institution ihr Engagement ausweiten will, erläutern Heide Wolter und Ilse Lucke - Gründerinnen und Aktivposten des von der evangelischen und der katholischen Kirchengemeinde getragenen, konfessionell aber unabhängigen ambulanten Dienstes.
Die Syker Hospizgruppe ist auf Expansionskurs. Wünscht Sie sich mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für ihre Arbeit?
Heide Wolter: Unser ehrenamtlich tätigen Mitglieder wollen keine Orden, Auszeichnungen oder ellenlange Lobeshymnen in den Medien, das grundsätzlich vorab. Doch tatsächlich: Aus zweierlei Gründen möchten wir gern weiter in den Fokus rücken. Wir streben einen deutlich höheren Bekanntheitsgrad an, weil wir mit unserer Arbeit noch mehr Menschen erreichen wollen. Aktuell ist unser Team gut ausgelastet, allerdings nicht überbeansprucht. Jedoch wissen wir, dass der Bedarf an professioneller Sterbebegleitung in der Hachestadt weit höher ist als wir momentan leisten. Die Nachfrage könnte und sollte noch deutlich größer werden. Womit wir beim zweiten Faktor wären …
… den eigenen personellen Ressourcen?
Heide Wolter: Genau. Momentan bilden 28 aktive Sterbebegleiter, überwiegend Frauen, die Hospizgruppe Syke. Wenn wir unsere Aktivitäten ausweiten, muss natürlich an dieser Stelle ebenfalls aufgestockt werden.
Bevor wir tiefer in die Materie einsteigen: Wie muss man sich die praktische Arbeit vorstellen?
Ilse Lucke: Wir betreuen langfristig Menschen mit begrenzter Lebenszeit – nicht selten auch deren Angehörige – in ihrem Zuhause, im Krankenhaus oder in einer Palliativeinrichtung. Optimalerweise beginnt dieser Prozess zeitnah zur medizinischen Diagnose, die eine begrenzte Lebenszeit prognostiziert. Wir stehen in erster Linie mit Präsenz, Nähe und Gesprächen zur Seite, sind auf die menschliche Komponente fixiert. Und das unabhängig von Herkunft und Hautfarbe, politischen oder religiösen Weltanschauungen. Was wir nicht leisten, das sei an dieser Stelle auch deutlich gesagt, sind pflegerische und medizinische Maßnahmen sowie Handlungen, die familiäre, geschäftliche und juristische Aspekte betreffen. Die Hospizarbeit ist rein auf den zwischenmenschlich-seelsorgerischen Bereich ausgerichtet. Dabei folgen wir keinen starren Konzepten. Wir tun einfach dass, was für den schwererkrankten Menschen richtig und wohltuend ist – schnell, verbindlich und vom Herzen kommend. Auf den Punkt: Wir begleiten das Leben, nicht den Tod. Das Sterben findet im Jetzt statt.
Was sind die Herausforderungen dabei?
Ilse Lucke: Die Aufgabe des Sterbebegleiters ist mit erster Priorität das Zuhören, erst an zweiter Stelle kommt – wenn es von dem Begleiteten gewünscht ist – der Dialog. Er lässt sich auf einen bislang unbekannten Menschen ein, der hinsichtlich seines Meinungsspektrums nur bedingt konform sein kann und sich zudem in einem permanenten seelischen Ausnahmezustand befindet. Erweitert wird das Spannungsfeld möglicherweise durch die Angehörigen. Ein solcher Begleitprozess kann Monate dauern, im Einzelfall sogar Jahre, so unsere Erfahrung. Da kann schnell auch der Ehrenamtliche in seelische Bedrängnis geraten, wenn er die verschiedenen Stadien des Ablebens aus kürzester Distanz miterlebt. Hinzu kommt, dass nicht alles, was die Klienten im Vorfeld ihres Ablebens erklären, zu den angenehmen Seiten eines gelebten Lebens gehört. Man wird schon mit Brüchen und unbequemen Beichten konfrontiert. Darum sind unsere qualifizierte Ausbildung und ein anschließend professioneller Umgang mit dem Erlebten so extrem wichtig.
Welche Voraussetzungen muss ein ehrenamtlicher Sterbebegleiter für den Hospizdienst besitzen?
Heide Wolter: Zeit, Empathie, Toleranz, Einfühlungsvermögen, eine eigene gefestigte Persönlichkeit … und eine entsprechende Ausbildung, die von zertifizierten Trainern mit umfassenden praktischen Erfahrungen unserer Hospizgruppe durchgeführt wird, basierend auf den Richtlinien unserer Dachorganisationen auf Landes- und Bundesebene. Der nächste Kurs beginnt am 16. August 2024 und findet in der Regel – freitagabends oder am Samstagvormittag – einmal in der Woche im Gemeindehaus der Kirchengemeinde Barrien statt. Inhaltlich kommt das darin Erlernte fast einer Berufsausbildung gleich. Aus diesem Grund kostet die Teilnahme daran 300 Euro, die nach zweijährigem ehrenamtlichem Engagement in unserer Gruppe erstattet wird.
Wie muss man sich eine solche Hospiz-Ausbildung differenziert vorstellen?
Ilse Lucke: Sie umfasst innerhalb von 6 Monaten rund 100 Stunden in Praxis und Theorie, aufgeteilt in den Grund- und den Vertiefungskurs sowie darin eingebettet ein dreimonatiges Praktikum, das in einem Pflegeheim oder auf einer Palliativstation stattfindet. Im ersten Abschnitt steht zunächst der Kursteilnehmer selbst im Mittelpunkt. Er muss in dieser frühen Phase für sich selbst ergründen, ob er Sterbebegleitung kann oder nicht, was verschiedene Situationen mit ihm machen, wo die eigenen Triggerpunkte liegen … Selbstreflektion und Abgrenzung zum Erlebten sind wichtige Schutzelemente, damit man in einer emotionalen Gemengelage nicht selbst unter die Räder kommt.
Hospizarbeit ist also keine Einbahnstraße?
Ilse Lucke: Im Gegenteil – man gibt ganz viel von sich selbst und erhält mindestens ebenso viel wieder zurück. Positiv und negativ. Damit muss man umgehen können, darf von außen kommendes Leid nicht in sich aufsaugen. Hospizbegleitung bedeutet also auch, permanent am eigenen Mindsetting zu arbeiten. Das vermitteln wir in unserem Lehrgang und anschließend in den monatlichen Gruppenmeetings, die teambasiert der Supervision und individuellen Aufarbeitung dienen. Auf diesem Weg verliert, so unsere Erfahrung, auch der eigene Tod den Stachel und das Leben wird bewusster gelebt.
Wie verläuft die Schnittstelle zwischen dem Ausbildungsende und der praktischen Arbeit?
Ilse Lucke: Auf jeden Fall fließend und unter genauer Beobachtung der erfahrenen Hospizleitung. Niemand von unseren Novizen wird ins kalte Wasser geworfen, was im Übrigen auch für unsere Klienten nicht sinnvoll wäre. Wir stellen den frisch ausgebildeten Sterbebegleitern in der Startphase einen erfahrenen Kollegen zur Seite, der sensibel eingreift, wenn es an irgendeiner Stelle zu Reibungen kommen sollte.
Was ist die Motivation der Ehrenamtlichen, sich in die Hospizgruppe einzubringen?
Heide Wolter: Die Gründe dafür sind verschieden. Häufig sind es Menschen, die gerade eine Trauersituation durchlebt haben. Oftmals steht eine Sinnsuche dahinter – wohlwissend, dass man irgendwann selbst vom Tode betroffen ist – oder die Erkenntnis, dass es neben Beruf und Gewinnstreben noch mehr im Leben geben muss.
Und wie finden Ihre schwer erkrankten Klienten den Weg zum Syker Hospiezdienst?
Heide Wolter: In den meisten Fällen wenden sich die zu Begleitenden selbst an uns, wenn beispielsweise keine Verwandten vor Ort sind oder ihnen eine innere Stimme den Bedarf signalisiert. Auch Angehörige oder Pflegeheime kontaktieren uns. Ausdrücklich sei an die Stelle aber gesagt, dass wir nur mit dem Einverständnis des direkt Betroffenen oder des gesetzlichen Vertreters aktiv werden.
Zum Schluss wollen Sie unseren Lesern noch ein besonderes Anliegen mit auf den Weg geben …
Heide Wolter: … ja, tatsächlich kneift den Hospizdienst in Syke eine unausgeglichene Geschlechterparität. Bei mehr als einem Dreiviertel unserer Ehrenamtlichen handelt es sich um Damen. Unsere praktische Erfahrung hat uns indes gelehrt, dass eine langfristige Begleitung von Männern durch einen männlichen, von Frauen durch einen weiblichen Hospizmitarbeiter funktioniert, einfach weil schneller eine gemeinsame Gesprächsebene mit spezifischen Themen gefunden werden. Darum richtet sich unser Apell zur Unterstützung der Hospizarbeit in besonderen Maße an die männliche Klientel.
Das Interview führte Ulf Kaack für Syke live.